Jungfrau oder keine Jungfrau? Was ist an der Jungfräulichkeit einer Frau so ungewöhnlich, dass sie seit Jahrhunderten fast im Mittelpunkt des menschlichen Interesses steht? Was macht ihre Einzigartigkeit aus? Warum wird die Jungfräulichkeit einer Frau in den Medien immer wieder öffentlich diskutiert? Warum ist sie Gegenstand von Klatsch und Tratsch in kleineren und größeren Gemeinschaften? Wie unterscheidet sie sich schließlich von der männlichen Jungfräulichkeit und ist sie nicht Ausdruck einer biologischen Geschlechterdiskriminierung?
Als biologische Geschlechterdiskriminierung kann man konventionell das so genannte Jungfernhäutchen bezeichnen, dessen Riss beim ersten Geschlechtsverkehr zu einer leichten Blutung führt, die die Jungfräulichkeit der Frau „bestätigt“. In der Kultur einiger arabischer Länder ist es üblich, nach der Hochzeitsnacht ein blutiges Laken auf den Balkon zu hängen. Dieses Phänomen wird u. a. in dem BuchBurnt Alive beschrieben. Bereits der erste sexuelle Kontakt der Partner bietet in gewisser Weise die Möglichkeit, die Frau im Hinblick auf ihre bisherigen sexuellen Erfahrungen zu beurteilen. Eine Frau hat jedoch nicht die gleiche Möglichkeit in Bezug auf ihren Auserwählten.
DieJungfräulichkeit einer Frau wird in unterentwickelten Ländern als besonders wertvoll angesehen, wo das Schicksal einer Frau in den meisten Fällen in den Händen eines Mannes liegt: eines Vaters, eines Bruders und später eines Ehemanns. Dies sind vor allem afrikanische Länder, Länder der arabischen Halbinsel und Indien. Die größte gesellschaftliche Diskussion der letzten Jahre wurde durch ein Buch ausgelöst, das von dem bekannten somalischen Model Waris Dirie geschrieben wurde. „Wüstenblume“ wurde nicht nur ein Bestseller, sondern auch ein Film mit demselben Titel. Der Film von Sherry Horman ist eine ergreifende Verfilmung der Geschichte eines somalischen Mädchens, das in jungen Jahren dem Ritual der Beschneidung, d. h. dem Abschneiden ihrer Klitoris, unterworfen wurde. Nach dem Erfolg des Romans und des Films wurden Anstrengungen unternommen, um afrikanische Stammesgemeinschaften über die menschliche Sexualität aufzuklären. Eine beschnittene Frau wird nie einen Orgasmus erleben können, und auch ihre Menstruation ist sehr viel schmerzhafter.
Die gefährlichsten Folgen (die auch in dem Film Dieweiße Massai beschrieben und dargestellt werden) für die beschnittene Frau sind jedoch Schwangerschaft und Geburt. Viele von ihnen verbluten in den Dörfern, die weit entfernt von großen Städten und Krankenhäusern liegen, zu Tode. Die Frau und ihr Baby sterben. Und warum? Weil diesen makabren und primitiven Bräuchen ein tiefer Glaube an die sündige Natur jeder Frau und die Aneignung der Verfügungsgewalt über ihren Körper, der Entzug ihrer„Sünde„, zugrunde liegt. Dies ist zum Teil auf die privilegierte Stellung des Mannes zurückzuführen, der eine „keusche“ Frau verlangt. Das größte Erstaunen, ja die größte Empörung ruft jedoch die Tatsache hervor, dass die Beschneidung in der Regel von den Frauen selbst vorgenommen wird. Das Ritual der Beschneidung soll die Jungfräulichkeit der Frau bis zu ihrer Heirat garantieren.
Diese Art von „Ritual“ wird in der so genannten zivilisierten Welt nicht praktiziert. In hoch entwickelten Ländern oder sogar in Entwicklungsländern wäre es weder für die Regierungen noch für die Gesellschaften akzeptabel. In Ländern wie den Vereinigten Staaten, Frankreich, Spanien oder Deutschland wird die Jungfräulichkeit nicht als Zeichen für Weiblichkeit oder Männlichkeit angesehen.
Aber ist sie das wirklich? Oder lässt die Biologie doch nicht nach? Welchen sozialen Status erreicht ein Mann, der öffentlich dafür bekannt ist, noch nie Sex gehabt zu haben, und welchen Status erreicht eine Frau? Wie nehmen wir einen Mann wahr, der seine Partnerin wie einen Handschuh wechselt, und wie nehmen wir eine Frau wahr? Sicherlich das Gleiche? Selbst in zivilisierten Gesellschaften macht der Mythos der Jungfräulichkeit sowohl Männern als auch Frauen zu schaffen. Man kann entweder ein „Macho“ oder ein „Streber“ sein, eine „Schlampe“ oder eine „Tugend“. Wir alle sind, ob wir es wollen oder nicht, dem gesellschaftlichen Stigma ausgesetzt, sexuell inaktiv oder überaktiv zu sein. Die Gründe dafür sind in der extrem hedonistischen Kultur des Westens zu suchen. Oder besser gesagt, der konsumorientierten Popkultur des Westens, die den Kult um Geld und Sex predigt.
Man mag es kaum glauben, aber die heutigen Teenager beginnen den Geschlechtsverkehr sehr oft unter dem Druck von Gleichaltrigen. Die Jungfräulichkeit ist in solchen Kreisen fast eine Ehrenbeleidigung, die so schnell wie möglich weggewaschen werden soll. Es gibt auch ein zunehmendes Phänomen des „Kaufs der Jungfräulichkeit“. Über das Internet, versteht sich. Einfach so. Wie eine Bluse bei Allegro. Nur für viel mehr Geld. Wie viel? 5.000 PLN? 8.000 ZLOTY? Jemand verkauft, jemand anderes zahlt. Aber ist es das wert?